Im Laufe der Jahre hat Gareth Jones an zahlreichen Projekten mitgewirkt und mit vielen Künstlern gearbeitet. Diamanda Galas (The Saint Of The Pit, 1986, You Must be Certain of the Devil, 1988), Nick Cave and the Bad Seeds (The Good Son, 1990), Crime & the City Solution (The Bride Ship, 1989), deren musikalischer Kopf, Simon Bonney (Forever, 1992, Everyman, 1996) und Phillip Boa (Lord Garbage, 1998) gehören dazu, um nur einige wenige zu nennen. Ein unermesslicher Erfahrungsschatz, der Jones heute wesentlich fokussierter und bestimmter an seine Arbeit gehen lässt.
Wie oft überraschen dich Künstler in der Form, dass sie als schwierig gelten, sich dann aber als kompromissbereit und nett herausstellen?
„Was ich versuche, ist, einen positiven Rahmen zu erschaffen, in dem sich alle entspannen können, in dem sie sich sicher fühlen. Den Fokus lege ich auf das Wichtigste, und das ist, Musik zu machen. Ich versuche also, schnell voranzukommen und so viel Musik wie möglich zu machen. Meistens sind dann alle entspannt und glücklich. Was zu einem Problem werden kann, ist, wenn man zu viel herumsitzt und sich unterhält. Das habe ich viel gemacht, als ich jünger war. Doch jetzt, da ich erfahrener bin, versuche ich die meiste Zeit, die ich mit Musikern verbringe, tatsächlich mit Musik zu füllen. Das ist immer eine großartige Erfahrung. In der Regel reagieren die Musiker darauf sehr positiv, denn das ist es, was auch sie am meisten wollen. Solange wir also hauptsächlich Musik machen, kommen alle gut miteinander aus.“
Was tust du, wenn du – zum Beispiel bei der Vorbesprechung – feststellst, dass ein Künstler tatsächlich sehr schwierig ist. Lehnst du einen solchen Job dann ab?
„Wenn man Vorbesprechungen hat, dienen sie dazu, festzustellen, ob man ein gutes Team bilden wird. Man passt zusammen oder eben nicht. Es kommt nicht so sehr darauf an, ob man den anderen vielleicht merkwürdig findet, sondern tatsächlich auf die Verbindung und das Gefühl, ob es gut ist. Ich lege schon Wert darauf, die Leute vorher kennenzulernen, denn es hat sehr viel mit Chemie zu tun. Es hat keinen Sinn, ein Projekt zu beginnen, wenn nicht die richtige Chemie herrscht. Es liegt aber gar nicht so sehr an mir, zu entscheiden, ob ich mit der Band arbeiten will, sondern wir entscheiden am Ende der Vorbesprechung gemeinsam. Manchmal ist es offensichtlich, dass die Besprechung nicht gut gelaufen ist und es nicht genug Übereinstimmungen gibt. Ich spreche darüber, was ich machen will, und die Band sagt: Das ist Müll! Dann ist natürlich klar, dass es nicht zu einer Zusammenarbeit kommen wird. Es ist somit wichtig, Projekte zu finden, bei denen alles zusammenpasst und alle in die gleiche Richtung gehen wollen. Es geht also bei diesen Vorbesprechungen darum, herauszufinden, ob man sich gemeinsam auf eine positive und kreative Art vorwärtsbewegen kann. Das ist nicht immer der Fall. Somit hat es durchaus Fälle gegeben, in denen ich Jobs abgelehnt habe, weil es keine solche Verbindung gab. Aus dem gleichen Grund wurde auch ich schon abgelehnt. Es ist eben eine gegenseitige Sache. Manchmal werde ich von einer Band eingeladen, und ich denke im Vorfeld, dass ich die Platte gern machen würde, und dann entscheidet die Band, dass ich nicht die richtige Person bin.“
Wie oft kommt es vor, dass sich persönliche Freundschaften entwickeln, wie zum Beispiel zu Vince Clarke und Andy Bell von Erasure? (Mit Erasure arbeitete Gareth Jones viele Male zusammen. Die gemeinsame Diskographie beginnt mit Wild, 1989, erstreckt sich über Erasure, 1995, Cowboy, 1997, Other People‘s Songs, 2003, Light at the End of The World, 2007, schließt viele verschiedene Remixes und andere kleine Projekte ein und reicht bis Tomorrow’s World, 2011.)
„Wenn man gemeinsam an einem Kunstwerk arbeitet, ist das eine recht intime Erfahrung. Es gibt wirklich sehr viel Ehrlichkeit und Offenheit während der Aufnahmen im Studio und in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Man kommt sich tatsächlich sehr nahe. Einige dieser Beziehungen, auch wenn man die Leute nicht sehr oft trifft, sind auch noch nach Jahren sehr eng. Ich treffe zum Beispiel Martin Gore (Depeche Mode – Anm. d. A.) kaum, aber wenn wir uns dann einmal treffen und vielleicht eine halbe Stunde zum Reden haben, dann kommt es einem nicht so vor, als hätten wir uns fünf Jahre lang nicht gesehen. Wir haben eine gemeinsame Geschichte und eine gute Beziehung, die durch gegenseitigen Respekt geprägt war, was es einem erlaubt, an der Stelle fortzusetzen, an der man stehen geblieben war. Eine ähnliche Erfahrung ist das mit Vince und Andy. Es ist immer wundervoll, sie wiederzusehen, sich mit ihnen auszutauschen, herauszufinden, wie es ihren Familien geht. Das ist schon eine sehr enge, besondere Beziehung, aber man sieht sich eben nicht oft. Die meisten Künstler sind sehr beschäftigt. So sind Vince und Andy zum Beispiel zurzeit beide in Amerika. Es sind also nie Beziehungen, die man täglich trifft und die sich auf einer solchen Ebene bewegen, wie wenn man täglich miteinander zu tun hätte. Wir haben eine gemeinsame kreative Vergangenheit und freuen uns, wenn wir uns treffen.“
Kommt es ebenso vor, dass du während der Arbeit an einem Album feststellst, dass du einen Musiker überhaupt nicht magst?
„Nicht mehr. Ich versuche, schon vor dem eigentlichen Projekt eine positive Beziehung aufzubauen. Indem ich die Künstler vorher kennenlerne, ist es sehr viel einfacher, sicher zu sein, dass man eine kreative und erfreuliche Zeit zusammen verbringen wird. Aber in der Vergangenheit ist es mir durchaus passiert, dass ich die Künstler nicht kennengelernt hatte, bevor wir gemeinsam ins Studio gegangen sind. Das erschien mir als eine gute Idee, aber wenn wir dann tatsächlich zusammentrafen, dachte ich manchmal: Ach du je, was habe ich bloß gemacht? (lacht) Es ist nicht oft vorgekommen. Das letzte Mal ist viele, viele Jahre her und es wird auch nicht mehr passieren, weil ich die Leute jetzt eben vorher treffe. Das ist der Grund, warum man Vorbesprechungen hat. Besprechungen können eine furchtbare Zeitverschwendung darstellen, aber die Leute kennenzulernen, ehe man anfängt, an einem Projekt zu arbeiten, ist wirklich sinnvoll.“
Wie verhältst du dich, wenn es zwischen Bandmitgliedern zu Streit kommt? Versuchst du, eine Lösung zu finden und sprichst mit den Musikern oder wartest du lieber ab, was passieren wird?
„Ich habe gelernt, dass es besser ist, sich nicht allzu sehr einzumischen. Eine Band ist wie eine Familie. Es ist wie bei einem Ehepaar, wenn die sich streiten, will man auch nicht wirklich zwischen die Fronten geraten. Sie werden dir höchstens sagen, dass man den Mund halten und sich raushalten soll, weil es einen nichts angeht. Heute, wenn es innerhalb einer Band viel Streit und Diskussionen gibt, versuche ich einfach, den Fokus wieder auf die Musik zu lenken. Das ist das, was mich nun mal am meisten interessiert. Mit den privaten Streitereien zwischen Bandmitgliedern im Studio kann ich nichts anfangen, das ist eher langweilig. Aber es macht Spaß, Musik zu machen. Also ist es das, was ich zu tun versuche.“
Was tust du, wenn sich eine Band in Bezug auf einen Song uneins ist? Überlässt du ihnen die Entscheidung oder äußerst du deine Meinung?
„Wenn wir drei verschiedene Ideen haben, wie ein Song klingen sollte, versuche ich, alle drei Ideen aufzunehmen. Ganz simpel also und wieder basierend darauf, einfach Musik zu machen. Ich nehme somit alle drei Ideen auf, wir hören uns alle an und dann entscheiden wir, welche Version die beste Variante für den Song ist. Meistens ist sehr schnell klar, welche die beste ist. Als ich anfing, haben wir eine Menge Zeit mit Diskutieren und Streiten verbracht, darüber, was wir machen und was wir damit erreichen wollten. Aber jetzt lasse ich mich nicht mehr darauf ein, sondern verbringe die Zeit einfach damit, Musik zu machen. Ich höre mir die Musik an und die Ideen, die die Band hat, und ich versuche, sie alle umzusetzen. Wenn man sich anschließend alle Versionen anhört, fällt es Musikern in der Regel leicht, herauszufinden, welche die beste ist, denn Musik ist die Sprache, die sie verstehen. Die Musik spricht sozusagen zu uns, sehr deutlich, und oft sagen dann alle: Oh, das ist die Version, die am besten zu dem Song passt! Meistens ist das so, weil jeder im Raum es spüren kann.“
Passiert es dennoch, dass sich die Band für eine Version entscheidet, die du nicht für die beste hältst?
„Ja, das kommt durchaus vor, aber da halte ich mich dann raus, denn es ist ja das Album der Band. Manchmal wollen sie durchaus etwas machen oder entscheiden sich für etwas, von dem ich denke, dass es keine gute Idee ist. Aber das macht mir nichts aus. Ich versuche immer das zu machen, was die Band haben möchte. Immer. Denn ich habe gelernt, dass sie meistens die besten Ideen haben. Auch, wenn ich in dem Moment denke, dass es keine gute Idee ist, kommt es manchmal vor, dass ich fünf Jahre später denke: Das war großartig!“
Wie verhältst du dich, wenn dir klar wird, dass bei Musikern, mit denen du arbeitest, ein Drogen- oder Alkoholproblem vorliegt?
„Drogen- und Alkoholmissbrauch sind natürlich ein generelles gesellschaftliches Problem, nicht nur eins des Musikgeschäfts. Aber früher war es wesentlich einfacher, betrunken in einem Aufnahmestudio aufzutauchen als etwa in einer Bank, wegen des sogenannten Rock’n’Roll-Lifestyles. Heutzutage bestehe ich darauf, dass es während meiner Sessions keine Drogen oder Alkohol gibt, lasse stattdessen aber genug Raum im Zeitplan, sodass die Künstler von mir aus nach den Sessions Drogen nehmen oder sich betrinken können.“
Gab es denn Situationen, in denen du gesagt hast, ich kann mit diesem oder jenem Musiker nicht arbeiten, eben weil er tatsächlich betrunken zur Arbeit gekommen ist?
„Ja, die gab es. Manchmal ist es auch so, dass ein wundervolles Talent nur dann großartig performen kann, wenn es betrunken ist, beziehungsweise sogar dann noch großartig ist, wenn es betrunken ist. Bei Drogen ist das ähnlich. Einige sind sehr destruktiv, andere hingegen beflügeln zunächst einmal den Geist oder scheinen dies zu tun. Man würde es sich zu leicht machen, wenn man einfach sagt, dass Drogen schlecht sind. Sie sind offensichtlich gefährlich. Ich würde niemals jemanden empfehlen, irgendwelche Drogen auszuprobieren, eben, weil sie so gefährlich sind. Jeder muss da natürlich seine eigene Entscheidung treffen. Aber wenn man jung ist und sich stark fühlt, sieht man die Gefahren, die von Drogen ausgehen, nicht so sehr, und einige Leute experimentieren ziemlich wild damit herum. Wenn nun jemand so sehr auf Heroin ist, dass er zu nichts zu gebrauchen ist, bedeutet das eine verschwendete Session. Wenn ich mit Leuten gearbeitet habe, die auf Heroin waren, bestand das Hauptproblem in dem besch*** Warten darauf, dass der Dealer endlich mit den Drogen auftauchte. Denn während man auf die Drogen wartete, passierte absolut nichtss. Sobald die Drogen da aber waren, war alles okay und man konnte mit der Session fortfahren. Speziell mit Heroin ist das so. Aber das ist natürlich keine gute Situation, keine Situation, in der ich mich befinden möchte.“
Deine Lehre daraus war dann also, nur noch drogenfreie Sessions zu zulassen?
„Ja, genau. Vielleicht nehmen die Leute heimlich Drogen bei meinen Sessions, aber das kriege ich dann nicht mit. Ich meine, die Leute wollen Party machen, und das ist auch okay für mich. Es ist nicht meine Aufgabe, den Leuten zu sagen, wie sie ihr Leben führen sollen. Aber ich finde, dass man sehr viel besser arbeiten kann, wenn man sich während der Sessions voll und ganz auf die Musik konzentriert und die Leute danach Partys feiern gehen. Das ist auch der Grund, warum ich nicht mehr bis 2 Uhr morgens arbeite. Ich sehe zu, dass man die Aufnahmen in den Kasten bekommt, sodass die Leute abends machen können, was sie wollen, sich betrinken gehen, kiffen oder Ecstasy nehmen oder was immer sie eben machen wollen – und ich kann mir dann auch ein Feierabendbier gönnen. (lacht)“
Bronski Beat, mit denen du an Truth Dare, Double Dare (1986 erschienen) gearbeitet hast, galten lange als eine Art Sprecher für die internationale Gay Community. Beschäftigst du dich mit den politischen oder karitativen Anliegen einer Band, mit der du arbeitest bzw. generell mit ihrem Hintergrund und ihren Aktivitäten außerhalb des Studios?
„Ich lasse mich von Leuten inspirieren. Wenn zum Beispiel einer meiner Künstler sehr an einem Wasserprojekt für die Dritte Welt interessiert ist, dann denke ich schon: Das ist eine wichtige Sache. Vielleicht kann ich auch etwas dazu beitragen. Ja, man wird von den Leuten um einen herum durchaus inspiriert, aber ich denke auch, dass ich mein eigenes Leben leben muss. Ich durchlebe die Höhen und Tiefen der Künstler, mit denen ich arbeite, nicht mit oder nicht mehr so, wie ich es gemacht habe, als ich noch jünger war. Als ich jünger war, ist es viel öfter passiert, dass ich mich von den Gefühlen und Anliegen eines Künstlers habe mitreißen lassen. Einige Künstler haben Momente des höchsten Glücks und der tiefsten Traurigkeit. Wenn man sich da mitreißen lässt, ist man sehr schnell emotional erschöpft. Es war wundervoll, mit Bronski Beat oder Erasure zu arbeiten, und es war auch wundervoll, zu sehen, wie sie dabei geholfen haben, die Rechte der Gay Community zu stärken. Sehr inspirierend, aber es war ihr Ding, nicht meins. Ich ziehe eine klare Linie zwischen meinem Leben und dem der Künstler. Ansonsten würde ich verrückt werden.“