Warum muss ein Musiker auch mal ein schlechtes Album machen dürfen? Und was hat ein Musiker mit Spiderman gemeinsam? Das und vieles mehr lest ihr hier im exklusiven Interview mit Jesper Anderberg von “The Sounds”.
TrueTrash: Wie läuft eure aktuelle Tour?
Jesper: Großartig. Wir sind früher als erwartet zu dieser Tour aufgebrochen. Normalerweise waren wir immer im Februar und März auf Tour, doch dieses mal haben wir schon im Januar begonnen. Um ehrlich zu sein ist das nicht besonders ideal, da es kälter ist, aber es funktioniert trotzdem. Wir haben an tollen Orten gespielt, die Leute schienen es zu mögen und hatten, genauso wie wir, eine gute Zeit. Wir können uns nicht beschweren!
Truetrash: Wie habt ihr euch auf die Tour vorbereitet? Urlaub? Relaxen? Viel üben?
Jesper: Nein, wir üben mittlerweile nicht mehr so viel. Wir touren so viel und nehmen den Soundcheck zum Proben. Normalerweise gehen wir dann zwei Tage vor Tourbeginn ins Studio und spielen, auch um das Gefühl für unsere Instrumente zu verinnerlichen. Aber um auf deine Frage zurückzukommen, jeder von uns war im Urlaub. Felix war auf Costa Rica. Ich selbst bin in die Schweiz zum Skifahren gegangen und habe meine Mutter in Riga besucht. Außerdem bin ich mit meiner Freundin nach Mexiko geflogen. Es fühlt sich so an, als wären wir ständig im Urlaub. Da wir auch häufig auf Tour sind, fühlt sich das wirklich gut an.
TrueTrash: Letztes Jahr wart ihr in den USA, Mexiko und Kanada auf Tour, dieses Jahr hingegen seit ihr in Europa unterwegs. Macht das für euch einen Unterschied? Habt ihr zum Beispiel eine andere Setlist für Europa?
Jesper: Nein, es ist schon etwas anderes. Ich meine, die Menge ist immer gut, egal wo wir spielen. Ich muss sagen, dass Deutschland außergewöhnlich gut ist (uns das sage ich jetzt wirklich nicht, weil wir hier gerade spielen). Es ist sehr befreiend, hier her zu kommen. Die Deutschen gehen gerne auf Konzerte. Dementsprechend passen wir die Setlist dem Kontinent an. In England und Spanien spielen wir eher die elektronischen Sachen und in Deutschland eher die rockigen. In Südamerika mischen wir stark durch. Die Deutschen mögen Rock.
TrueTrash: Lass uns über euer aktuelles Album „Something To Die For“ sprechen. Ihr habt das Album komplett alleine produziert. Wieso habt ihr nicht mit einem Produzenten zusammengearbeitet?
Jesper: Wir haben das zuvor schon so gemacht. Es ist nicht so, dass wir nicht wissen, was wir im Studio machen. Bei unserem ersten Album waren wir noch recht jung und wussten recht wenig über die Technik. Deshalb hatten wir Produzenten. Im Nachhinein kann man sagen, dass die Produzenten uns im Weg standen. Einige waren zwar besser als andere, aber im Grunde waren wirklich alle Produzenten schlecht. [überlegt] Ok, unseren ersten Produzenten kann man eventuell außen vor nehmen. Produzenten haben alle ihre Funktionen. Bei unseren Alben waren wir von Anfang an die Co- Produzenten, also haben wir es dieses mal eben auf eigene Faust versucht und es war gar nicht mal so schwer. Es war zeitaufwändig, aber wirklich nicht so schwer.
TrueTrash: Würdet ihr es wieder machen?
Jesper: Auf jeden Fall. Auch wenn ich nicht weiß, wie unser nächstes Album klingen wird. Unser aktuelles Album ist ein wenig elektronischer, vielleicht wird unser kommendes rockiger oder punkiger. Wir wollen auf keinem Album gleich klingen.
TrueTrash: Wie war der Entstehungsprozess des „Something To Die For“? Felix und du, ihr schreibt die meisten Songs und die Texte. Arbeitet ihr dann als Band noch an den Songs? Oder habt ihr die Songs schon fertig und spielt sie dann einfach im Studio ein?
Jesper: Bei manchen Songs ist es so, dass sie komplett fertig sind, bis wir sie dem Rest der Band präsentieren. Um unseren persönlichen Sound zu erhalten, brauchen wir alle unserer Mitglieder. Wir kommen zusammen, spielen sie. Aber bei dem Album hat es damit begonnen sich zu fragen: „Wie wäre es, ein wenig mehr Elektro zu probieren? Mal sehen, wohin uns das führt“. Das haben wir getan. Für viele Lieder haben wir Ewigkeiten gebraucht, um sie fertig zu stellen, andere hingegen hatten wir an einem Tag fertig. Ich glaube, den letzten Song auf „Something To Die For“ habe ich in 5 Minuten geschrieben. Es kommt wirklich auf den Song drauf an.
TrueTrash: Die Kritiken dazu waren ja sehr unterschiedlich, einige waren sehr gut und einige waren…
Jesper: …wirklich schlecht. [lacht]
TrueTrash: Wie geht ihr damit um? Interessiert euch, was andere über eure Musik denken? Oder macht ihr einfach euer Ding?
Jesper: Uns ist das ziemlich egal. Natürlich ist es nicht gut, schlechte Reviews zu bekommen. Einerseits ist jede Art von Bewertung Werbung für uns. Unsere Fans wissen, dass wir uns mit jedem Album entwickeln und unseren Sound ändern, auch um es für uns selbst interessant zu halten. Das wird auch wertgeschätzt, obwohl ihnen das Album vielleicht gar nicht so gut gefällt, wie zuvor veröffentlichte Alben. Einige hingegen mögen „Something To Die For“ lieber als die Vorherigen. Unsere Fanbase ist sehr gemischt. Viele mögen unseren elektronischen Sound, viele mögen den rockigen Sound. Es ist schwer, wir versuchen das zu kombinieren, aber manchmal muss man einfach in eine Richtung gehen, egal ob die Fans glücklich oder nicht glücklich darüber sind. Aber dafür werden sie das nächste Album mögen. Ich glaube, dass es heutzutage für Künstler wichtig ist, etwas Neues zu versuchen. Es wird dir nicht mehr erlaubt, ein schlechtes Album zu machen. Das ist wirklich traurig. Die Leute müssen schlechte Alben machen.
TrueTrash: Warum?
Jesper: Dadurch entwickelst du deinen neuen Sound und festigst deinen alten Sound. Alle großen Künstler aus den 70ern und 80ern die 30 Alben herausgebracht haben, ist mindestens die Hälfte beschissen. Nimm Neil Young, der hat ein Elektronisches-Album, ein Country-Album, Grunge-Alben und Rock-Alben gemacht. Da waren natürlich nicht alle gut, aber nach jedem schlechten Album gab es wieder ein Gutes. Oder schau dir Bruce Springsteen an. Der hat die „Human Touch“ und „Lucky Town“-Alben gemacht. Waren beschissen. Aber dann ist er zurückgekommen – „The Ghost of Tom Joad“ war wieder klasse. So sollte das Musikbusiness sein. Heutzutage sind alle auf Hits fokussiert und das ist gefährlich. Wenn du eine tourende Band bist, musst du in der Lage sein, dich auf verschiedene Art und Weise auszudrücken, Neues versuchen und keine Angst haben.
TrueTrash: Für “Something To Die For” hat euer eigenes Label „Arnioki Records“, zumindest in den USA mit „Side One Dummy Records“ zusammengearbeitet. Was habt ihr euch durch dieses Joint-Venture erwartet?
Jesper: Nicht zu viel. Unser Glaube in Recordlabels ist nicht mehr der Größte. Das ist wohl bei den meisten Bands der Fall. Aber mit „Side One Dummy“ war es so, dass sie mit vielen Bands wie Flogging Molly oder Gaslight Anthem zusammenarbeiten, die mit unserer Band viel gemeinsam haben. All diese Bands haben den selben Glauben wie wir, nämlich dass das Touren dir dabei hilft, das Verhältnis zu den Fans zu halten. Wir sind nicht auf das Radio angewiesen. Ok, auch wenn ein paar dieser Bands kürzlich ins Radio kamen, in erster Linie geht es darum, die Fans auf Tour zu erreichen. Darum geht es bei uns!
TrueTrash: Letztes Jahr habt ihr einen kleinen Contest gestartet. Es ging darum, eine Coverversion von „Better Off Dead“ zu machen. Der Gewinner wird auf eurer neuen 7“ Vinyl-Single auf der B-Seite zu hören sein. Habt ihr euch schon für einen Gewinner entschieden?
Jesper: Ja das haben wir. Aber ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, was daraus geworden ist. Viele verschiedene Menschen haben äußerst unterschiedliche Coverversionen gemacht. Einige waren wirklich witzig, andere wiederum schlecht, aber es waren auch richtig Gute dabei. Die Band die uns am Besten gefallen hat hieß „Divebomber“. Die haben ein recht cooles Punk-Rock-Cover aufgenommen.
TrueTrash: Aber die Platte ist noch nicht draußen?
Jesper: Nein, noch nicht. Wir werden sehen, was damit passiert. Du kennst ja die Labels…
TrueTrash: Viele Bands sind ja darauf fixiert, sozial- oder politikkritische Texte zu verfassen. Seid ihr mit euren Texten auch darauf aus? Oder wollt ihr einfach eine gute Zeit haben und die Leute glücklich machen?
Jesper: Ich glaube, man kann das kombinieren. Wir sind keineswegs eine politische Band. Wir schreiben über Dinge, die direkt aus dem Herzen kommen, über Dinge, die dich wirklich ärgern. Das wird man nicht aus unseren Texten erkennen, aber ich persönlich bin kein großer Fan davon, eine einzige Nachricht in einem Lied zu verteilen. Wenn ich Musik höre, dann suche ich mir eine Zeile aus. Meiner Meinung nach müssen die Texter da draußen nicht zwingend in einem Song über eine Sache schreiben. Es ist eine Sammlung von Gedanken, die dem Liedtext ein bestimmtes Gefühl vermitteln, mit dem sich die Leute dann identifizieren können. Es muss nicht zwingend von Faschismus oder politischer Ungerechtigkeit handeln. Natürlich machen das Bands, aber unsere Band macht das eben nicht so. Wir schreiben über gute und schlechte Zeiten, Kummer, aber auch über Erinnerungen. Auf unserem letztem Album hab ich das Lied „The Only Ones“ geschrieben. Darin ging es um die Erinnerung von damals, als sich Ostdeutschland mit Westdeutschland vereint hat. Also wie ich das Ganze empfunden habe, da ich damals gerade mal 8 Jahre alt war und alles vor dem Fernseher verfolg habe. Ich habe meinen Vater gefragt, was los war. Das war damals was wirklich großes in Europa, natürlich speziell für euch Deutschen. Der Song hat aber nichts mit der politischen Erinnerung zu tun, sondern einfach damit, an was ich mich noch erinnere, als ich 8 Jahre alt war. Einige Leute verstehen vielleicht nicht worum es darin geht und denken, dass er von etwas ganz anderem handelt, aber das geht auch in Ordnung.
TrueTrash: Wie du vorhin gesagt hast, seid ihr eine Band die viel tourt. Ihr habt mehr als 1000 Konzerte in 25 Ländern weltweit gespielt. Das sind doch bestimmt schlimme Dinge passiert. Hättest du eine Anekdote für uns?
Jesper: [lacht] Yeah, Dinge passieren am laufenden Band, wenn du auf Tour bist. Ist etwas auf dieser Tour passiert? [überlegt lange]
TrueTrash: Oder ein lustiges Erlebnis?
Jesper: Es passiert immer irgendetwas, auch wenn es das Publikum meistens nicht merken wird. Dinge gehen dauernd kaputt. Oder du spielst ein falsches Intro und vermasselst das, aber das bekommen die meisten Leute wohl nicht mit. Ich habe leider keine richtig gute Story. Es passiert einfach zu viel.
TrueTrash: Macht doch nichts. Ich habe gelesen, dass eure Idole Musiker wie Duran Duran, Depeche Mode und Blondie sind. Woher kommt das Interesse für diese Acts? Sind das Bands, die ihr als Kinder gehört habt?
Jesper: Ich denke das bezieht sich zum größten Teil auf unser erstes Album. Ich denke nicht, dass einer von uns heute noch diese Bands hört – nun gut Depeche Mode höre ich noch. Aber ich habe nie in meinem Leben ein Blondie Album besessen. Duran Duran sind eine coole, gute Band, aber ich höre sie nicht mehr. Ich denke Blondie bezieht sich mehr auf Maja, weil sie ja auch blond ist und vielleicht ein bisschen auf den Sound auf unserem ersten Album. Das sind alles gute Bands, aber nichts was ich mir anhöre um zu mir selbst zu finden oder mich inspirieren zu lassen. Es ist spaßige Musik, die man in einer Ära seines Lebens hört, vielleicht wenn du 19, 17 oder 20 bist. Das ist gute Partymusik.
TrueTrash: Gibt es irgendeine Band mit der du gerne mal auf Tour gehen würdest?
Jesper: Ja, ich denke da gäbe es einige Bands. Aber ich mag es nicht wirklich mit größeren Bands zu touren, ich mag nicht mehr als Supportact auftreten. Wir sind so lange als Vorband aufgetreten und ich denke, das ist etwas was wir nicht mehr machen wollen. Ich meine, wenn uns irgendetwas großartiges angeboten wird, dann machen wir es vielleicht. Aber wir legen es nicht darauf an mit den Red Hot Chili Peppers oder Blondie oder so auf Tour zu gehen. Das ist nichts auf das wir hinarbeiten. Manchmal bekommen wir Angebote mit einer bestimmten Band auf Tour zu gehen, aber wir suchen nicht danach. Wir sind glücklich damit, unsere eigenen Touren zu veranstalten und unsere eigenen Supportbands mitzubringen.
TrueTrash: Ihr habt euch 1998 gegründet. Das heißt 14 Jahre – eine Band – dieselben Leute jeden Tag oder zumindest sehr häufig. Ist das nicht anstrengend? Oder habt ich euch mit den jeweiligen Gewohnheiten der anderen abgefunden?
Jesper: Ich denke das haben wir. Wir haben begriffen, dass es ein Job ist. An manchen Tagen ist es der beste Job der Welt und an anderen Tagen… Es ist der beste Job der Welt, ich würde nicht tauschen wollen. Aber ein Montag kann halt immer noch ein Montag sein, auch auf Tour. Und an einem Sonntag wärst du vielleicht gerne mal daheim bei deiner Familie und nicht im Tourbus mit 15 anderen Leuten. Aber das ist unser Leben und wir lieben es. Ich könnte mir nichts besseres vorstellen, als diesen Montag hier in München zu verbringen und eine Solo-Show zu spielen. Wir machen das jetzt schon so lange, dass wir uns gegenseitig sehr gut kennen – wir können miteinander kämpfen und wir können eine gute Zeit zusammen haben. Es ist eine Art von Ehe. Du musst siehe pflegen, du musst Dinge zusammen durchstehen, aber letztlich ist es genau das was wir machen wollen. Manchmal muss du eine Pause machen, und dann machst du eben eine Pause.
TrueTrash: Was hättest du gemacht, wenn ihr nicht so erfolgreich geworden wärt? Hattest du einen Alternativplan?
Jesper: Nein! Du kannst keinen Alternativplan haben. Nach einer gewissen Zeit wird das deine Berufung. Es ist wie – wenn du Spiderman wärst, dann bist du Spiderman. Und wenn du Musiker in einer erfolgreichen Band bist, dann ist es das was du bist. Du kannst dann nicht an etwas anderes denken. Es hält vielleicht nicht für immer, aber solange du diese Person bist und es dir damit gut geht, solltest du genau das tun. Wenn du mit irgendeiner Sache erfolgreich sein willst, musst du dich darauf fokussieren – nur darauf. Es ist das gleiche wenn du studierst oder wenn du ein Erfinder oder Künstler sein willst, dann musst du dich einfach auf diese Sache konzentrieren. Du kannst dir keine Gedanken erlauben wie „vielleicht sollte ich Arzt sein“, denn dann konzentrierst du dich nicht mehr auf das richtige.
TrueTrash: Nächstes Jahr ist der 15. Geburtstag der Sounds. Habt ihr schon etwas geplant um das zu feiern?
Jesper: Nein, wir haben unser 10jähriges nicht gefeiert, wir feiern auch nicht unser 15jähriges. Vielleicht feiern wir dann zum 20jährigen. Ich weiß nicht, aber wir haben so jung angefangen, da sind 15 Jahre gar nichts. Ich bin gerade erst 30 geworden, ich fühle mich noch nicht so alt. Ich wäre gerne 40 und würde das immer noch machen. Wir werden sehen, es hängt einfach davon ab, wie man sich dabei fühlt und ob man davon leben kann, seine Miete bezahlen kann und so weiter. Und natürlich muss es immer noch Spaß machen. Du musst daran glauben und es muss Spaß machen. Ich schätze wir sollten es mehr feiern, als wir es tun. Andererseits feiern wir es jede Nacht: Eine Show zu spielen, egal wo du bist ist das pure Glück. Um ehrlich zu sein, ich könnte mir nichts anderes vorstellen.
TrueTrash: Cool, vielen Dank!
Jesper: Danke euch!
TrueTrash: Danke, dass du dir Zeit genommen hast und weiterhin viel Erfolg mit eurer Tour.
Jesper: Ganz vielen Dank!
Das Interview wurde geführt von Fabian, Fotos von Rebekka.
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