Die Soulsavers bestehen aus Ian Glover und Rich Marchin und stammen aus Manchester. Ihr Musikgeschmack scheint breit gefächert zu sein, denn sie fingen mit Trip Hop an und boten auf dem Album It’s Not How Far You Fall, It’s The Way You Land von 2007 eine Mischung aus Rock, Country, Soul, Gospel und Hip Hop. Beim 2009er Album Broken gesellten sich noch Jazz-Anklänge dazu.
Nun haben sie gemeinsam mit Dave Gahan, eher bekannt als Sänger von Depeche Mode denn als Solo-Künstler (trotz zweier Alben – Paper Monsters, 2003, und Hourglass, 2007), das Album The Light The Dead See aufgenommen. Gahan singt nicht bloß, er hat auch die Texte geschrieben.
Wir haben gleich zwei Kritiker darauf angesetzt. Allerdings hat die geplante strikte Aufteilung in „hot“ und „not“ nicht so ganz funktioniert …
Not: Handwerklich ist an dem Album nichts aussetzen. Die musikalischen Arrangements weisen – zugegeben – eine hohe Qualität auf und beide Seiten der Kollaboration bieten eine gute Leistung. Etwas schwer tue ich mich jedoch mit der Einordnung. Unter Rock/Blues/Gospel verstehe ich jedenfalls was anderes. Es hat eher was von ambienter Chill-Out-Fahrstuhl-Schlafmusik mit Italo-Western-Anklängen, kombiniert mit ganz, ganz viel schmalzigem Gefiedel und einem nervigem Chor.
Hot: Für mich ist es keine Fahrstuhl-Musik. Es ist eher was zum An- und Runterkommen. Erinnert mich zum Teil auch an die guten alten 70iger-Beats, aber in Slow Motion.
Not: Beim Instrumental-Intro La Ribera dachte ich spontan an Spiel mir das Lied vom Tod, was sich dann in dem Gefiedel-Strudel verflüchtigte, um als Thematik im letzten Song, Tonight, wieder aufzutauchen. Positiv betrachtet kann man also davon sprechen, dass das Album zyklisch in sich geschlossen und auch sonst aus einem Guss ist.
Hot: In der Tat erinnert das Intro ein wenig an Spiel mir das Lied vom Tod. Die Platte ist recht schwermütig und fast ein bisschen träge. Aber mir gefällt das. Das Album besticht durch seine Ruhe und das macht es mir ziemlich sympathisch. Und mit den Streichern empfinde ich die ganze Sache als ziemlich formvollendet. Anders würde es nicht passen.
Not: Andererseits ändert sich daran aber auch nie was. Nimmt man nur die Musik, rauscht sie das gesamte Album über bombastisch und getragen, ohne nennenswerte Höhen und Tiefen oder gar von so etwas wie Lead-Melodien “gestört” zu werden, an einem vorbei, über- und umspült einen wie ein lauschiger Bach. Hängengeblieben ist bei mir jedenfalls nix.
Hot: Gut, die Melodien variieren kaum, jedoch bestechen sie durch verschiedensten Einsatz der Instrumente. Mal eine Gitarre im Vordergrund, mal ein Piano, mal ein Schlagzeug. So hat jeder Song seine individuelle Note, trotz des roten Fadens. Und der rote Faden ist für mich eine ziemliche Traurigkeit. Daher auch sicher das Empfinden, dass die Platte so schwermütig ist.
Not: Stimmlich ist Dave Gahan wieder etwas besser in Form. Kein “Wäscheklammereffekt” wie teilweise auf der Paper Monsters, keine schlimmen Anfälle wie auf Hourglass (ganz besonders: Use You), bei denen es mir die Fußnägel hochklappt, und auch kein übles Silbengekaue inklusive Truthahngekoller wie zuletzt auf Sounds Of The Universe [Depeche Mode]. Er wirkt auch einigermaßen locker und nicht so angestrengt wie es in den letzten Jahren bei solchen ruhigeren Nummern oft der Fall war.
Aber mir wird wieder einmal schmerzlich bewusst: Der coole Personal Jesus mit dem klaren, ausdrucksstarken Bariton ist tot, es lebe der “Ach, ich bin ja so kreativ und sensibel”-Dave mit einer Stimme, die zwar nicht schlecht ist, an frühere Leistungen aber einfach nicht anknüpfen kann.
Sie will auch nicht so recht zu diesem musikalischen Arrangement passen. Denn eine gewisse Aggressivität besitzt seine Stimme immer noch. In den glanzvollen Zeiten von Depeche Mode gab es die goldene Regel: “Dave singt die kraftvollen Songs, Martin [Lee Gore] die gefühlvollen”, und sie hatte durchaus etwas für sich. Klar, ein Sänger will sich auch mal weiterentwickeln. Aber dennoch liegt ihm dieses “Gesäusel” nicht so recht. Eine richtige Rockplatte, auf der die Gitarren heulen und der Dave rumrotzt und den bad boy raushängen lässt, würde ich ihm viel eher abkaufen.
Hot: Also, so ganz schlecht ist er nun wirklich nicht. Die Stimme passt zur Musik und liegt im guten Einklang mit den Melodien. Dass er sich hier nicht austoben kann, liegt ja auch auf der Hand: Es ist ein ruhiges Album. Hoffentlich wird das nächste Depeche Mode-Album nicht auch so eine Heulnummer …
Aber eigentlich mag ich das ja, wenn der Dave ein bisschen was Ruhigeres singt. Seine Stimme ist immer wie ein Guss aus Honig und Sirup, also süß und klebrig, man kommt nicht weg davon. Je öfter ich mir das Album anhöre, umso besser gefällt es mir.
Not: Was das ruhige Album angeht: Das hat er sich ja so ausgesucht. Er hätte sich genauso gut eine Kollaboration suchen können, in der es rockiger und rauer zur Sache geht. Niemand hat ihn dazu gezwungen, ein so ruhiges Album einzuspielen. Und habe ich mit der “Heulnummer” eben so etwas wie negative Kritik rausgehört?
Hot: Na ja, ich frage mich, ob man nicht doch lieber den altbewährten Mark Lanegan hätte nehmen sollen. Hätte man das mit dem aufgenommen, wäre das Album wahrscheinlich sogar ein Kracher geworden. Der hätte der Sache einen ganz anderen Aspekt gegeben. So hören alle nur “Ach, der Dave!!!” und machen das Ganze daran fest. Ich denke, das Album hat ziemliches Potenzial, vielleicht noch mehr ohne Gahan.
Not: Etwas mehr Leidenschaft, bitte, du ruinierst gerade das Hot-or-Not-Konzept! Wehe, du sagst jetzt auch noch was gegen die Texte … Denn die hat alle Dave Gahan geschrieben. Leider, muss ich sagen, wie immer, wenn Dave Texte schreibt. Er kann’s einfach nicht. Irgendwann muss er doch mal merken, dass er eben nicht “fucking Wordsworth” ist, wie er 1988 noch ziemlich treffend festgestellt hat. [Die Depeche Mode-Fans werden wissen, was ich meine. Für alle anderen: Vor dem 101-Konzert in Pasadena 1988 überlegte der nervöse Dave Gahan, wie er die Massen begrüßen solle. Als ihm ein längerer, grammatikalisch korrekter Satz vorgeschlagen wurde, antwortete er: “Who do you think I am? Fucking Wordsworth?!“] Von dieser Selbsterkenntnis ist nichts mehr übrig. Stattdessen dichtet er auf Teufel komm raus. Das Ergebnis lautet dann zum Beispiel:
Nothing can break me
Nothing that I see
You can’t shake me
You can’t take me
So set me free
(aus: Presence Of God)
Mal ehrlich: Muss das sein? Genau wie dieses nachdenkliche Geheule und Gejammer. Wer soll ihm das ernsthaft abkaufen? Der Mann ist 50, mehrfacher Millionär, nun schon lange clean, hat ‘ne Familie und kann machen, was immer er will. Was soll dieses Gequengel? Vor allem, weil er nun schon seit Paper Monsters jammert und ihm seitdem – auf Paper Monsters gab es hier und da sogar mal einen selbstironischen Anflug – anscheinend sogar diese Selbstironie abhanden gekommen ist. Für mich ist das Album daher auch weniger “traurig”, sondern eher etwas jammerig.
Hot: Dem habe ich nichts weiter hinzuzufügen. Dadurch, dass Dave die Songs geschrieben hat, klingt es für mich von den Texten her wie Paper Monsters Vol. 2.
Not: Ey, du bist der Gutfinder!
Hot: Ja, Entschuldigung, aber DAS fällt nun wirklich auf!
Not: Kannst du dich nicht dazu durchringen, ihn als neuen Wordsworth zu preisen?
Hot: Ähem… nee, mach ich nicht! Aber alles im allem gefällt mir das Album, sehr gut sogar. Ich finde die Idee von The Light The Dead See schon sehr imposant. Beeindruckt mich sogar ein bisschen. Von Anfang bis Ende nicht langweilig, sondern schlüssig und durchgeplant. Die Songs sind gut aufgebaut und steigern sich. Selbst die ausschließlich musikalischen Teile sind passend.
Not: Mir persönlich ist es zu langweilig. Auch ein Album mit vielen fließenden Elementen kann so etwas wie Höhepunkte aufweisen, woran dieses aber nicht mal im Traum denkt. So was kann ich höchstens hören, wenn ich nicht einschlafen kann, aber selbst dann wäre es mir wohl zu schmalzig.
Hot: Schmalzig? Das ist bitterer Ernst!
Not: Umso schlimmer …
Nachsatz:
Es ist nicht überliefert, ob sich Hot und Not jemals wegen ihrer Rollen oder gar wegen des Albums einigen konnten.
Das Fazit könnte jedoch lauten: Wer ruhige, getragene Musik und dazu am besten noch die heutige Stimme von Dave Gahan mag, wird an diesem Album sicher viel Freude haben. Wer’s lieber rockig mag und den Personal-Jesus-Zeiten von Depeche Mode hinterher trauert, sollte lieber die Finger von The Light The Dead See lassen.
Anspieltipps (von “Hot”)
- The Longest Day
- Take
- Presence Of God