A broken piano, a broken guitar, a broken nose.
Amanda Palmer ist eine der wenigen Künstler, bei denen ich meine, man darf sich ihre Show auch anschauen, wenn man überhaupt nichts mit der Musik anfangen kann. Man sollte es sogar! Es erwartet einen ein buntes Spektakel aus Musik, Spaß, Tanz, Ironie und Improvisation, großen Gesten und Rock’n’Roll-Posen, Kitsch, Korsetts, nackter Haut, noch mehr nackter Haut, Herzschmerz und Selbstironie, Schweiß und Wahnsinn!
Den Part der Vorband übernahmen an diesen Abend zuerst Jherek Bischoff (Bassist und Zeremonienmeister von The Grand Theft Orchestra) und danach Chad Raines (Träger geiler Zuhälterschuhe und Gitarrist von TGTO), beide persönlich vorgestellt und charmant angesagt von yours truly Amanda Fucking Palmer. Kurz zusammengefasst: Rock’n’Roll, baby! Dann der Hauptakt: Introducing Amanda Palmer & The Grand Theft Orchestra. Schon ziemlich am Anfang ging das Piano kaputt, was Amanda mit den Worten „das Piano ist tot“ lakonisch kommentierte. Dann hatte auch Chad Probleme mit der Gitarre. Und schließlich die gebrochene Nase … aber davon später.
The Grand Theft Orchestra wird neben Jherek und Chad noch durch Drummer Michael McQuilken und lokalen Streicher- und/oder Horn-Spielern ergänzt. Der Schwerpunkt des Sets lag auf dem neuen Album Theatre Is Evil. Und was für eine tolle Liveumsetzung, Woo-Hoo! Ein Fest für Aug’ und Ohr! Natürlich wurden auch ein paar ältere Solostücke, Dresden Dolls Songs und Coverversionen hineingestreut. Seeräuberjenny aus der Dreigroschenoper, auf Deutsch vorgetragen, war sicher ein Highlight. Und ich glaube, Amanda Palmers Interpretation von Eisbär von Grauzone wird von Mal zu Mal, von Tour zu Tour besser, wieder einmal ganz großes Kino! Bemängeln könnte man höchstens, dass manchmal zu oft das Tempo rausgenommen wurde, aber vielleicht war das auch nur mein subjektives Empfinden.
Etwa in der Mitte des Sets nahm Amanda Zetteln aus einer Box heraus und las diese laut vor. Es waren schlimme bzw. traurige Erlebnisse einiger Berliner Konzertbesucher, die ihnen in ihren Schlafzimmern passiert sind; sie hatten diese vor dem Konzert aufschreiben und in die dafür vorgesehene Box einwerfen können. Gleichzeitig nahm Amanda das Vorgetragene mit einem Tonbandgerät auf, um es später im Coversong In My Room von Yazoo als Endlosschleife zu verwenden. Publikumspartizipation mal anders. Eine andere Form dieser war auch, dass man vorher Fotos von sich einschicken konnte, die dann bei manchen Songs schnell hintereinander auf den Bühnenbackground projiziert wurden. Die wohl traditionellste Form der Publikumseinbindung war wohl Amandas Crowdsurfing während des Songs Bottomfeeder, inklusive eines Kleids mit einer Art Schleppe, die dann das ganze Publikum verdeckte; ist schwer zu beschreiben, muss man gesehen, muss man erlebt haben! Unverbindlicher Tipp: YouTube 😉
Ich frage mich ja immer, wovon es abhängt, ob ein Moshpit entsteht, eine Hüpfburg wie auf einem Kindergeburtstag, in Berlin durfte ich zwei extreme Positionen erleben. Schon zu Beginn des Sets drängte ein Mosher in die Mitte und fing (ziemlich brutal) zu tanzen an, zwar hatte er etwas Unterstützung, aber auch extremen Gegenwind von Leuten, die sich partout nicht bewegen wollten. Es wurde argumentiert und gestritten, immer wieder. Klar, die Mehrheit wollte nicht tanzen, aber der Moshpit ist nun mal immer vor der Bühne, der Rest könnte ja ausweichen. Doch das Wichtigste ist, dass alle ihren Spaß haben. Also, wenn jemanden die Situation statt mit einem Kompromiss lieber mit Spott, Ignoranz und schließlich körperlicher Gewalt (Nasenbruch!) zu „lösen“ versucht, der wird dann auch völlig zurecht von zwei Gentlemen in schwarz hinauseskortiert, in diesem Falle eben der Mosher.
Aber vielleicht wäre die Grundstimmung an diesem Abend viel entspannter gewesen, wenn die Organisation sich ein bisschen mehr bemüht hätte. Denn es war sicher ganz toll für die aus Schweden und Polen angereisten Fans, die stundenlang in der Kälte gewartet haben, um einen guten Platz vor der Bühne zu ergattern, dass der Einlass an der für sie „falschen“ Türe stattfand. Und süffisante Kommentare des Türstehers dazu haben die Sache kaum besser gemacht. Es haben sich auch ganz viele Leute darüber gefreut, dass sie am Einlass zurück an die Kassa (die gleichzeitig mit dem Einlass aufgemacht wurde statt vorher) verwiesen wurden, wo sie sich noch einmal anstellen durften, um sich dort ihr Internetticket händisch bestätigen zu lassen, weil im Columbia Club anscheinend keiner über Ticket-Scanner verfügt (braucht man ja auch nicht im Internetzeitalter). All das ließe sich natürlich ganz einfach vermeiden: Mit Kommunikation! In diesem konkreten Fall hätte schon ein einfacher Zettel mit den relevanten Informationen am Eingang ausgereicht. Aber es ist immer wieder das Gleiche.
Doch zurück zum Konzert, Amanda und ihr Orchester haben einen tollen Auftritt geliefert, und das obwohl ein paar Tage vorher Becca, eine Freundin, mit 27 Jahren überraschend verstorben war. So etwas relativiert dann natürlich alles und lässt einen dankbar sein, auch dankbar für jemanden, der so abwechslungsreich, originell und unterhaltsam ist wie Amanda Palmer.
Und sie kommt im Frühjahr wieder nach Deutschland:
10. März 2013: München, Ampere
11. März 2013: Köln, Gloria
12. März 2013: Berlin, Kesselhaus
18. März 2013: Hamburg, Gruenspan
Hingehbefehl!
Für die Pedanten wie immer die Setlist: setlist.fm/setlist/amanda-palmer-and-the-grand-theft-orchestra/2012/c-club-berlin-germany-53dd5b59.html